Der frühere Lehrer, Oberbürgermeister und Landtagsabgeordnete Albert Ludwig Grimm (1786-1872) war bekanntlich auch ein Sammler und Erzähler alter Volksmärchen. Unter anderem veröffentlichte er im Jahre 1816 die Geschichte „Knüppel im Sack“, die viele als Märchen der Gebrüder Grimm aus Hessen kennen. Albert Ludwig Grimm hat eine nach seinem Geschmack kürzere Version des Märchens geschrieben, die ausdrücklich zum Vorlesen für Kinder gedacht war.
Die Weinheimer Künstlerin und Illustratorin Nicole Hilkert hat nun dieses Märchen mit seinen vielen Episoden neu bebildert und interpretiert. Rund dreißig Skizzen, Tuschezeichnungen und Aquarelle werden jetzt im Weinheimer Museum ausgestellt. In einem Rundgang lässt sich die Geschichte der drei Söhne, die in der Welt ihr Glück machen wollen, nachvollziehen. Gleichzeitig erfährt man viel von der künstlerischen Arbeitsweise von Nicole Hilkert. Sie entschied sich für die Illustration des Märchens „Knüppel aus dem Sack“ in der Version von Albert Ludwig Grimm aus mehreren Gründen. Die Künstlerin wollte einen Bezug zu Weinheim herstellen und stieß dabei auf Albert Ludwig Grimm, der in Schluchtern bei Heilbronn geboren wurde, nach seinem Studium in Heidelberg eine Anstellung an der Lateinschule in Weinheim fand und nebenbei kindgerechte Märchen schrieb. Grimm bekleidete auch das Amt des Bürgermeisters. Hiermit wurde der Bezug zur Stadt Weinheim und dem Heimatmuseum geschaffen. Grimm war der erste, der kindgerechte Volksmärchen zu Papier brachte. Das Märchen „Knüppel im Sack“ erscheint der Künstlerin derzeit inhaltlich sehr aktuell und berührt sie auf unterschiedlichen Ebenen. Ihr Beitrag soll Albert Ludwig Grimms Arbeit in Bezug auf die Märchen ins rechte Licht rücken und ihm die Ehre geben, die ihm gebührt.
Nach der Themenfindung ging Nicole Hilkert in die Recherche, um das Fluidum der Person und Zeit Grimms zu erfassen. Sie durcharbeitete unzählige Texte mit ähnlichem Inhalt, darunter „Tischlein deck dich“, „Goldesel“ und „Knüppel aus dem Sack“. Dabei stellte sie fest, dass sie zunächst die falsche Fassung, nämlich die der Gebrüder Grimm, erwischt hatte. Nach weiteren Recherchen im Archiv konnte sie die Urfassung von Albert Ludwig Grimm lesen. Diese unterschied sich klar von der Version der Gebrüder Grimm, besonders die Episode mit dem Ziegenbock gefiel ihr, weshalb sie dazu Zeichnungen und Aquarelle anfertigte, sozusagen als Hommage an die Gebrüder Grimm.
Die Illustratorin wurde von dem gesamten Märchen inspiriert, nicht nur von einzelnen Szenen. Die Auseinandersetzung mit dem alten Text war wichtig, um Klarheit über die vielen lehrreichen Botschaften von Grimm zu gewinnen. Sie begann die Arbeit mit einem Storyboard, kleinen Skizzen der Szenen in Abfolge. Danach ließ sie die Arbeit eine gewisse Zeit ruhen, um Distanz zu gewinnen. In dieser Zeit fertigte sie Bildmotive in unterschiedlichen Techniken an und entschied sich schließlich für die Reinarbeit in Form von Zeichnungen, die sie dann mit Farbe umsetzte, wie sie jetzt an den Wänden zu sehen sind.
Die Kernaussage des Märchens ist für die Künstlerin nicht einfach zu beantworten, da es viele kleine lehrreiche Botschaften enthält. Eine wichtige Botschaft ist, dass der Vater sich treu bleibt, obwohl die Umwelt über ihn und seine Kinder lacht. Er schickt alle drei nacheinander in die Welt, damit sie ihr Glück finden. Das Märchen zeigt, wie es demjenigen ergeht, der weggeht, und wie es denen ergeht, die zu Hause bleiben. Die Familie wird durch die ungerechte Behandlung der Brüder zerbrochen, aber der jüngste Sohn, der Bescheidenheit zeigt und das Familienglück über sein eigenes materielles Glück stellt, rettet mit Hilfe des Knüppels das verlorene Erbe, den Tisch und den Esel. Die Ehre der Familie wird wiederhergestellt und der Familienfrieden gerettet. Für die Künstlerin liegt die Kernaussage darin, dass man das zurückbekommt, was man aussendet.
Nicole Hilkert hat sich für die Techniken des Aquarells und der Tusche entschieden, da sie diese früh für sich entdeckt hat. Aquarellmalerei ist eine strategische Malerei, bei der Licht und Schatten im Voraus geplant werden müssen. Aquarell ist eine der schwierigsten künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, ähnlich wie die Tusche. In der Einfachheit, Transparenz und Zartheit liegt der Ansporn für die Künstlerin, da diese beiden Techniken kaum Fehler verzeihen und im Ausdruck so ehrlich sind. Fehler sind immer sichtbar und bleiben. Im Gegensatz zur Acryl- oder Ölmalerei, bei der Unzulänglichkeiten mehrmals übermalt werden können, hat sie gelernt, dass Fehler Charme haben können. Diese beiden Techniken fordern ein hohes Maß an Können. Ihr Ziel ist es, „Lockerheit und Präzision“ in Einklang zu bringen. Ganz klar, der Weg ist das Ziel. Die Ausstellung ist bis zum 18. August zu sehen.
Pressemitteilung der Stadt Weinheim, 01. Juli 2024