Heinz Ferdinand Wäß und die Gedichte, das ist eine lebenslange Geschichte der Annäherung. Wäß, ehemaliger Geschichtslehrer, Wahl-Weinheimer und Buchautor, bislang eigentlich eher mit lokalhistorischem Stoff beschäftigt, hat jetzt einen  bemerkenswerten Lyrik-Band herausgebracht. Bislang waren für Weinheim erschienen: 2010 das Buch der „Geheimnisvolle Rodensteiner“, 2013 die „Illustrierte Chronik der Stadt Weinheim“, die Wäß fürs ein Stadtjubiläum gemeinsam mit den Journalisten Carsten Propp und Roland Kern verfasst hatte.

Das neue Buch aus seiner Feder heißt „Meine Lieblingsgedichte“ – und jene sind in dem Buch (das im Verlag Regionalkultur erschienen ist), beileibe nicht nur abgedruckt. Sie sind sehr persönlich kommentiert, in die Lebensphasen des Autors eingeordnet, der Dichter wird beschrieben, seine möglichen Intentionen erklärt. Heinz Ferdinand Wäß nennt sein 144 Seiten starkes Buch im Untertitel „Ein Ansteckungsversuch“. Das passt, denn in der Tat wecken die persönlich geprägten Erläuterungen das Interesse an der Lyrik, verschaffen einen neuen Blickwinkel und einen anderen Zugang.

„Das Verkopfte hat in diesem lesenswerten und in der Tat ansteckenden Buch keinen Platz. Es ist für jene Leser bestimmt, die, wie der Autor selbst, Gedichte in ihre Herzen einziehen lassen.“ So beschreibt es der Weinheimer Journalist und Schriftsteller Jürgen Drawitsch.

Wie es zu dem Buch gekommen ist, erläutert der heute 77-jährige ehemalige Lehrer für Deutsch und Geschichte, der jeden Morgen durch den Weinheimer Exotenwald streift, in seinem Vorwort. Darin schildert er durchaus vergnüglich, dass es mit ihm und den Gedichten so eher eine Liebe auf den zweiten Blick war …. es könnte auch der dritte oder vierte gewesen sein. „In der Schule war die Beschäftigung mit Gedichten für mich eher unangenehm“, erinnert sich der gebürtige Frankfurter mit einem Augenzwinkern zurück. Und er ergänzt: „Ich war faul und drückte mich, wo es ging.“ Das änderte sich, die Gedichte gaben ihm mehr und mehr. Schließlich wurde er zum wahren Liebhaber der Lyrik, tauchte in sie ein, genoss Inhalt und Sprache. Heute sind sie auch eine Art Gedächtnistraining, das er nur empfehlen kann. Vor zwei Jahren begann er damit, Gedichte auswendig zu lernen, spürte er, wie die verdichtete Sprache und die Bilder und Gefühle, die sie in ihm entstehen ließen, ihn packten und etwas mit ihm machten. Wäß war sozusagen lyrisch infiziert. Insgesamt 19 Gedichte von elf Autoren empfiehlt Wäß einer eingehenden Betrachtung – gerne auch bei einem Gläschen Wein, wie er humorvoll auf der Rückseite des Buches anmerkt. „Ich kann sie jetzt alle auswendig“, schmunzelt er.

Die Menschlichkeit und Güte, die aus dem „Abendlied“ von Matthias Claudius spricht, macht es auch für Heinz Ferdinand Wäß zu einem Lieblingsgedicht. Wenn in ihm die „goldnen Sternlein prangen“, weckt es Erinnerungen an Nächte in der Sahara. Als junger Lehrer arbeitete er an einer Deutschen Schule in Afrika und erlebte in der Wüste einen einmaligen, zauberhaften Sternenhimmel.Auf die mit einem Porträtbild versehenen, kurz formulierten Lebensstationen des jeweiligen Dichters folgt ein ausgesuchtes Gedicht und schließlich Betrachtungen aus Sekundärliteratur sowie Reflexionen von Wäß.

Joseph von Eichendorffs „Mondnacht“ weckt das Gefühl unerfüllter Sehnsüchte, Theodor Fontanes „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ zeugt von der Großzügigkeit eines Menschen, das Gedicht „Alter“ des weniger bekannten österreichischen Dichters Ferdinand von Saar von einer wohltuenden Ruhe, die die letzte Lebensphase durchziehen kann.

Wer sich „Meine Lieblingsgedichte“ zu Gemüte führt, begegnet sprachlichem Bilderzauber in den beiden herausragenden Herbstgedichten von Rainer Maria Rilke und den vielzitierten Passagen aus Hermann Hesses Gedicht „Stufen“. Man erfährt, welcher geheimnisvollen Marie A. Bertold Brecht 1920 seine Erinnerungen in Gedichtform widmete, reist mit Erich Kästner in „Das Eisenbahngleichnis“ in einem mysteriösen Zug durchs eigene Leben und gelangt über die „Morgenwonne“ von Joachim Ringelnatz schließlich zu Hilde Domin, die in „Unaufhaltsam“ reflektiert, was ein gesprochenes Wort bewirkt, wenn es einmal gesagt und nicht mehr zurückzunehmen ist. „Meine

Lieblingsgedichte“ von Heinz Ferdinand Wäß, 144 Seiten, 17,90 Euro, Verlag Regionalkultur, ISBN: 978-3-95505-474-8.

Pressemitteilung der Stadt Weinheim, 24. Dezember 2024

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