Wenn kein Geringerer als Roman Polanski aus einem Schauspiel einen Film macht, dann ist das für die Autorin des Stücks ein Ritterschlag. So geschehen im Jahr 2011, als Polanski diese herrlich-bissige Gesellschafts-Satire als Stoff für einen Film verwendete, der zum Klassiker wurde: „Der Gott des Gemetzels“. Schon seit 2006 ist das Theaterstück aus der Feder der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza mit seinen vier zankenden Protagonisten auf den Bühnen Europas und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Am Donnerstag, 24. November, wird es bei „Weinheim macht Theater“ auf der Bühne der Weinheimer Stadthalle zu sehen sein (20 Uhr, Einlass 19 Uhr), aufgeführt vom jungen „Ensemble Persona“ aus München.

Wir haben im Vorfeld ein Interview geführt mit Tobias Mähler, dem Regisseur und künstlerischen Leiter des Ensembles.

Herr Mähler, „Der Gott des Gemetzels” wurde 2006 als Theaterstück in Frankreich inszeniert, bekannter wurde aber Roman Polanskis Verfilmung 2011. Welche Version hat Sie zur Inszenierung mit dem „Ensemble Persona” inspiriert? Und warum?

Ganz klar das Stück. Ich habe die Verfilmung zwar vor Jahren gesehen, aber vor und während der eigenen Inszenierung nicht mehr gesehen – und zwar aus dem Grunde:  Yasmina Reza hantiert sehr kunstvoll mit der Sprache, die im Theater eine viel wesentlichere Dimension einnimmt als im Film. Die Sprache sortiert im Theater die Situation, baut, wenn man so will, auch die „Schnitte” und verschafft so der Geschichte einen sehr viel wirkungsvolleren Rahmen – gerade, weil man allen vier Figuren gleichzeitig zusehen kann – und die Aufmerksamkeit nicht durch Filmschnitte gelenkt wird.

Gibt es je nach Land eine eher französische und eher eine amerikanische Variante? Eine Gesellschaftskritik muss ja schließlich sehr nah an der Gesellschaft sein? 

Ja, wobei diese Art von „gehobener Mittelschicht”, die hier abgebildet wird, wohl – immer noch – in vielen westlichen Gesellschaften zu finden ist. Insofern sind die Figuren doch auch „Prototypen” unserer westlichen, auch deutschen Moderne.

Warum ist der Stoff immer noch aktuell? Oder wird er vielleicht immer aktueller? Schließlich hat die Corona-Pandemie mit Lockdowns und häuslicher Isolation noch mehr als vorher zu Verwerfungen in der Familie geführt? 

Ja, das ist natürlich richtig. Und so ist das Stück eben auch besonders aktuell. Gleichwohl finden wir Vorbilder für die dargestellten Charaktere und Beziehungen, wenn wir ehrlich sind, doch bestürzend häufig – auch vor der Pandemie- und sie sind vielleicht auch näher, als uns lieb ist. Die Aktualität des Stückes und der Situationen liegt bestimmt in der immerwährenden Frage, wie Beziehung gelingt – oder auch nicht. Die Figuren in dem Stück sind Meister darin, sich in Ihren Schwächen vorzuführen. Eher eine Zutat, die gerade Liebesbeziehungen wohl eher schadet. Im Theater macht es aber Gott sei Dank großen Spaß, den Figuren bei der gegenseitigen Dekonstruktion zuzusehen. 

Wenn sich die Paare gegenseitig und untereinander an die Gurgel gehen, soll das eher tragisch oder komisch rüberkommen? Oder beides?

Nun ja, ich denke das Lachen kann einem schon manchmal im Halse steckenbleiben. und genau diese Gratwanderung macht diese intelligente Komödie wohl aus.

Polanskis Verfilmung ist schauspielerisch extrem stark besetzt, u.a. mit Kate Winslet und Christoph Waltz. Setzen solche Vorbilder Ihre Darsteller unter Druck? Oder macht es die Rolle einfacher? 

Nein, wir haben über die Vergleiche zu diesen tollen Kollegen nie in dem Sinne gesprochen. auch Druck, nein, das ist doch zu weit weg – und zudem: Im Theater gelten doch häufig andere Gesetze und ich weiß gar nicht, wie viele Aufführungen Kate Winslet oder Jodie Foster als Schauspielerinnen im Theater bestritten haben. So gesehen brauchen wir uns da, glaube ich, nicht zu verstecken. 

Anderes Thema, Sie waren lange Jahre auch fest an städtischen Bühnen, zum Beispiel in Hamburg und Frankfurt? Wie sehr hat Corona den Theatern geschadet?

Die Corona-Pandemie ist eine echte Zäsur für den Kulturbetrieb. Vor allem, was den Rückgang der Abonnements betrifft. Das gilt für die großen, ja, aber vor allem für die mittleren und kleinen Theater und Kulturkreise umso mehr. Wenn man bedenkt, dass an manchen unserer Spielorte über 50 Prozent der Abos weggebrochen sind, kann man sich vorstellen, was das für Dimensionen für die Häuser hat. In diesem Sinne sollten wir alles dafür tun, die Menschen ins Theater zu locken, um sie dann mit tollen Stoffen zu begeistern – damit sie auch wiederkommen. Ich glaube „Der Gott des Gemetzels” ist in dem Sinne bestimmt eine sehr gute Stückwahl!

Warum ist es jetzt gerade besonders wichtig, in den Städten Theaterangebote zu machen? 

Wir dürfen uns nicht ins Bockshorn jagen lassen von der Pandemie! Wir müssen als Gesellschaft zusammenfinden, sei es im Rahmen von Clubkultur, Fußballkultur, Wirtshauskultur oder eben mit Musik und Theater. Das Theater hat eine entscheidende Qualität: es kann Gemeinsinn stiften. Zuschauer kommen einzeln oder in kleinen Gruppen und wenn das Gemeinschaftserlebnis Theater gelingt, verlassen sie das Theater als eine Gruppe von Menschen, die einen Erfahrungszusammenhang geteilt hat. Diese Gemeinschaftserfahrungen trainieren also den „Gemeinsinnsmuskel”, den wir als Gesellschaft so dringend benötigen. Wenn sich die Menschen vereinzeln und ins Netz in ihre Echoräume zurückziehen, dann haben wir das dystopische Gesellschaftsbild wie auf dem Höhepunkt der Pandemie, schrecklich. Wir müssen zusammenkommen! Das ist der beste Grund, um Theater zu machen!

Info: Der „Gott des Gemetzels“, Schauspiel nach einem Roman von Yasmin Reza, am Donnerstag, 24. November, bei „Weinheim macht Theater“ in der Weinheimer Stadthalle, 20 Uhr, mit dem Ensemble Persona aus München. Vorverkauf in Weinheim (Tickets ab 13.50 Euro) Tourist-Information und Kartenshop DiesbachMedien – sowie in allen ReserviX-Vorverkaufsstellen und Online: www.reservix.de und an de Abendkasse.

Pressemitteilung der Stadt Weinheim, 18. November 2022

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