Es waren sehr emotionale Erinnerungen an eine Kindheit in Weinheim und doch zwischen den Welten. „Wir waren zerissene Kinder“, beschrieb Stella Kirgiane-Efremidou, deutsch-griechische Kommunalpolitikerin ihr frühes Aufwachsen im Odenwald. „In Deutschland die Griechen und in Griechenland die Deutschen.“ Carmen Salazar, die früh in ihrer Jugend schon Deutsch genauso gut gesprochen hat wie Spanisch, ihre Muttersprache, erinnerte sich an den ersten Schulbesuch, als der Lehrer das Gastarbeiterkind in die letzte Reihe setzte. Sie sollte „mal was malen“. Dass diese dunkelhaarige Mädchen schon Deutsch konnte, lag außerhalb seiner Vorstellungskraft. Rosina Basile, die in Kalabrien geboren wurde und im Alter von sechs Jahren ihrem Vater ins deutsche Wirtschaftswunderland stammte, hat über diese Zerrissenheit sogar ein Gesicht geschrieben. Sie trug es am Sonntagmorgen im bis auf den letzten Platz besetzten Kino „Modernes Theater“ vor. Auf Italienisch, dann auf Deutsch. Dazwischen stockte ihre Stimme.

„Neue Heimat“, so war die Film-Matinee beschrieben, in welcher der Weinheimer Journalist Thomas Veigel diese ambivalente Zeit in den 60er-Jahren am Beispiel seiner Heimatstadt beschrieb. Es war die Zeit des Wechsels. In vielen Köpfen nahm der schreckliche Zweite Weltkrieg noch viel Platz ein. Andererseits erlebte die junge Bundesrepublik Deutschland ihren ersten Aufschwung. Menschen aus anderen – europäischen – Ländern mussten als so genannte Gastarbeiter angeworben werden. Da trafen Welten aufeinander, Deutschlands Gesellschaft veränderte sich im Laufschritt, und mancher kam nicht nach. Weinheim war übrigens weit vorne bei dieser Bewegung. Schon 1961 hatte die Firma Freudenberg die ersten spanischen Gastarbeiter geholt, 18 Jahre später hatte Weinheim fast 4000 Mitbürger spanischer Herkunft.

Veigel, 1956 in Weinheim geboren, also durchaus auch Zeitzeuge dieser Phase, spannte den Bogen von einem Dokumentarfilm aus den frühen 70er-Jahren zu den Menschen, die damals als Kinder und Fremde nach Deutschland kamen. Das wurde zu einer spannenden Mischung der Erinnerungen – inmitten einer turbulenten politischen Zeit. „Als Thomas Veigel vor einem Jahr begonnen hat, diese Veranstaltung vorzubereiten“, erklärte Weinheims Pressesprecher Roland Kern in seiner Begrüßung, „konnten wir nicht wissen, dass sie in eine Zeit fallen würde, in der die Themen Migration und Integration so erhitzt geführt werden, wie im Moment“. Aber gerade jetzt sei es wichtig, „den Blick auf die positiven Aspekte der Migration zu lenken“. Und Menschen wie die Gäste des Podiums – neben Stella Kirgiane-Efremidou, Carmen Salazar und Rosina Basile noch der 2015 aus dem Iran geflüchtete Aron Mazi Asgari – seien definitiv solche positiven Beispiele gelungener Integration, die „unsere Stadtgesellschaft bereichern“.

Asgari übrigens, der als Christ in seinem Heimatland verfolgt und schikaniert wurde, hat sich selbst bald nach seiner Ankunft in Deutschland in der Flüchtlingshilfe engagiert. Er arbeitet in seinem gelernten Beruf als Elektrotechniker und hat die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Sein Sohn besucht hier die Schule und den Sportverein. Sie wollen nicht mehr weg.

Mit den drei früheren „Gastarbeiterkindern“ zeichnete Thomas Veigel durchaus empathisch deren Biografie nach. Alle drei Frauen kamen jeweils mit ihren Eltern nach Deutschland, wurden sesshaft, erlebten menschliche Wärme und Gastfreundschaft aber ebenso wie offen ausgetragene Fremdenfeindlichkeit – bis sie wirklich Fuß fassten in Weinheim. Heute sind sie wichtige Säulen der Stadtgesellschaft, ohne die Wurzeln gekappt zu haben. „Wir sind Neigeplackte, aber Woinemer Sponier“, wie es Carmen Salazar beschrieb. Sie bietet übrigens Stadtführungen durch das Historische Weinheim in spanischer Sprache an. Auch Stella Kirgiane-Efremidou berichtete von einem Wechselbad der Gefühle: Vom Busfahrer, der sich weigerte, sie und ihre Schwester zu transportieren – aber auch von der Nachbarin, die ihre liebevolle Nachhilfelehrerin wurde.

Wie die Zeit war, in der diese Ankunften stattfanden, zeigte die Dokumentation des Filmregisseurs Michael Fengler, der seinerzeit in Mörlenbach wohnte und sich Weinheim als typische Kleinstadt ausgesucht hatte. Darin werden der damalige NPD-Politiker Wilhelm Riedel, die Kommunalpolitiker Wolfgang Daffinger und Hans Hohmann sowie der Kommunist und Gewerkschafter Leonard Seib und der Künstler und Schöngeist Emil Rensland interviewt und portraitiert, garniert mit Anekdoten der Lokalgeschichte. Von beglückend bis erschreckend, wie die Zeiten halt so sind.

Die Veranstaltung war auch dank der Familie Speiser vom Kino „Modernes Theater“ eintrittsfrei. Es wurden Spenden in Höhe von fast 1000 Euro gesammelt, die Thomas Veigel dem Begegnungscafé der Liebenzeller Gemeinde in der Nordstadt zukommen lässt.

Pressemitteilung der Stadt Weinheim, 17. Februar 2025

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